Die Entstehung und Entwicklung des Snookerspiels
1. Die Wurzeln des Billards
Bei Snooker handelt es sich um ein recht junges Spiel, das wie zahlreiche andere Sportarten (Fußball, Rugby, American Football, Darts u.a.) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand.
Die Industrialisierung in Europa verhalf den Menschen zu immer mehr Freizeit und schuf auf diese Weise einen idealen Nährboden für Tätigkeiten, die nicht mehr ausschließlich auf die reine Lebenserhaltung, sondern immer häufiger auch auf eine angenehmere Lebensgestaltung ausgerichtet waren.
Will man jedoch die Hintergründe beleuchten, die für die Entstehung des Snookerspiels verantwortlich zu machen sind, bedarf es eines kurzen Ausflugs in das Mittelalter, in dem der Grundstein für die Existenz vieler noch heute bekannter Varianten des Billardspiels gelegt wurde.
Den eigentlichen Ursprung des Billards vermuten Sporthistoriker unserer Tage übereinstimmend in dem inzwischen ausgestorbenen ,,paillemalle“-Spiel, das sich vermutlich seit dem 13. Jahrhundert insbesondere in Frankreich, Italien und England größter Beliebtheit erfreut haben muss. Noch heute ist eine der Renommierstraßen Londons, die Pall MalI, nach diesem Rasenspiel benannt, zu dessen Ausführung man zwei Eisen- oder Holzkugeln sowie ein Instrument benötigte, das einem modernen Hockeyschläger nicht unähnlich war. Mit diesem Schläger galt es, eine der beiden Kugeln so durch ein kleines Eisentor zu befördern, dass die dahinter platzierte Kugel getroffen wurde und ihrerseits einen hölzernen Kegel umwarf. Es gilt als unbestritten, dass aus diesem Spiel auf nahezu direktem Wege das heute noch praktizierte Crocketspiel entstand. Pall Mali soll darüber hinaus auch maßgeblich zur Entwicklung des Golfsports beigetragen haben.
In welch entscheidender Weise dieses Spiel auch am Ursprung des Billards beteiligt gewesen ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass seine Austragung auf einem möglichst trockenen und ebenen Untergrund aus Gründen der Präzision stets von den Witterungsverhältnissen abhängig war. Damit die Freunde des Pall Mali ihrer Spielleidenschaft aber auch an kalten und nassen Tagen frönen konnten, verlegten sie das Geschehen kurzerhand in geschlossene Räume und dort schließlich auf einen Tisch. Wenngleich die Spielfläche dadurch erheblich verkleinert wurde, blieb die Grundidee des Spiels zunächst erhalten. Ob sich dieser entscheidende Schritt in England oder in Frankreich vollzog, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Fest steht jedoch, dass die Franzosen das Reglement verfeinerten und das Spielmaterial ständig verbesserten.
Damit die Kugeln nicht mehr vom Tisch herunterfallen konnten, führte man bereits sehr früh die Banden ein, die erstmals durch den Abpralleffekt hervorgerufene Richtungsänderungen der Kugeln bewirkten. Ansonsten waren die Tische von damals eher noch abenteuerliche Hindernisparcours, auf denen Kegel, Tore, Löcher und andere Schikanen zur bevorzugten Ausstattung gehörten. So wird beispielsweise ein Lochbillard aus dem Jahr 1571 beschrieben, das nicht nur an den vier Ecken sondern auch in der Mitte des Spieltischs Vertiefungen aufzuweisen hatte.
Der Begriff , ,Billard“ kam erst im Laufe der Zeit auf. Er entwickelte sich über das vulgärlateinische , „billa“ sowie das französische Wort ,,bille“, beide mit der Bedeutung Ball bzw. Kugel. Auch die übrigen Bezeichnungen, die in engem Zusammenhang mit dem Spiel standen, waren französischen Ursprungs. Sie gingen teils unverändert, teils als Lehnwörter (z.B. engl. cue aus franz. queue) in den Sprachschatz anderer Länder ein.
2. Vom Königshaus ins Wirtshaus
Bekannt war das Billard, in welcher Spielart auch immer, mit Sicherheit bereits im 15. Jahrhundert, wobei es vor allem in den europäischen Königshäusern gepflegt wurde. Ludwig Xl, Karl IX und Ludwig XIV zählten ebenso zu den gekrönten Häuptern, die dem Spiel frönten, wie auch Mary Stuart, deren Kopf in das Tuch des Billardtisches eingewickelt wurde, dessen Verschwinden sie noch kurz vor ihrer Enthauptung so Schmerzlich beklagt hatte.
Nachdem das Billardspiel lange Jahre nur zum elitären Zeitvertreib in Fürsten- und Königshäusern diente, erfolgte 1610 in Frankreich die erste offizielle Genehmigung zur Aufstellung von Billardtischen in der Öffentlichkeit. Dies bedeutete allerdings noch nicht, dass sich von da an auch das ,,gemeine Volk“ am Spiel beteiligen durfte, denn die Tische befanden sich ausschließlich in sogenannten ,,Ballhäusern“, die nur reichen Bürgern zugänglich waren. Die Ballhäuser (hier ist übrigens auch die Wiege des Tennis zu suchen) unterstanden der strengen Leitung der ,,paumiers“ (Ballmeister), die ebenso auf die rigorose Einhaltung bestimmter Spielzeiten zu achten hatten, wie auch darauf, dass nur Vertreter bestimmter gesellschaftlicher Stände Zugang zu den wohl-behüteten Räumlichkeiten fanden.
Im übrigen Europa vollzog sich die Verbreitung des Billards überwiegend im frühen 18. Jahrhundert, doch auch hier verhinderten strenge behördliche Auflagen, dass das Spiel zum Volkssport werden konnte. 1775 wird das Carambol, heute besser unter dem Namen ,Karambolage-Billard“ bekannt, erstmals namentlich erwähnt.
Erst 1789, also nach der französischen Revolution, konnte das Billardspiel endlich seinen nunmehr unaufhaltsamen Siegeszug antreten. Nach und nach hoben die Behörden ihre Beschränkungen auf, die nur Angehörige bestimmter Stände in speziell dafür vorgesehenen Einrichtungen zum Queue greifen ließen, und gestatteten schließlich sogar die Aufstellung von Billardtischen in jedermann zugänglichen Wirtshäusern.
3. ,,Material“ in fünf Jahrhunderten
Die Veränderung des Aussehens aller billardrelevanten Zubehörteile sowie die Beschaffenheit der unterschiedlichen Werkstoffe vollzog sich von der Entstehung des Spiels an über einen Zeitraum, der bis in unsere heutigen Tage hineinreicht.
So war die Gestalt des Queues zuerst hammer- und dann keulenförmig, bevor sich um 1800 die nach vorne hin spitz zulaufende heutige Form durchsetzte. Einige Jahre lang rauhte man die Spitze an den Wänden der Zimmer auf, in denen die Billardtische aufgestellt waren.
Dieses Procedere war jedoch verständlicherweise weder der Lebensdauer der Queues noch der des Mauerwerkes sonderlich zuträglich, und so war die Erfindung der ledernen Stoßkappe durch den französischen Billardmeister Mengand im Jahr 1827 einerseits eine material-schonende Verbesserung und zum anderen die Geburtsstunde des Effétstoßes.
Kurze Zeit später lernte man die Vorteile der Kreide als einen weiteren kleinen Schritt zur Verbesserung des Accessoires kennen. Überhaupt brachten die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts die entscheidenden Entwicklungen im Materialbereich mit sich, denn 1826 wurde der bis dahin gebräuchliche Holzuntergrund des Billardtisches von der wesentlich robusteren und mit besseren Laufeigenschaften versehenen Schieferplatte abgelöst. Gelegentlich wurde anstelle von Schiefer aber auch Marmor verwendet.
1835 fertigte man die Banden erstmals aus Gummi und bewirkte dadurch ein schnelleres und weiteres Rollen der Kugeln, die ebenfalls einige Entwicklungsstufen durchlaufen mussten, bevor sie zu dem wurden, was Billardexperten unserer Tage als Zubehör mit höchsten Präzisionseigenschaften zu schätzen wissen.
In grauer Vorzeit, unmittelbar nachdem das Spiel vom Boden auf den Tisch gelangt war, bediente man sich noch unebener Kugeln aus Stein oder Leder. Später kamen Metallkugeln auf, die nach und nach durch Elfenbeinprodukte ersetzt wurden. Zehntausende Elefanten wurden bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts brutal abgeschlachtet, damit die Billardspieler in aller Welt mit dem zu dieser Zeit angeblich besten und wertvollsten Material versorgt werden konnten. 1870 startete man den Versuch, die Kugeln aus Zelluloid herzustellen, doch schon bald wurde dieses Unternehmen eingestellt, da sich das Material bei entsprechender Reibung erhitzte und kurzerhand explodierte. Heute wird zur Herstellung der Billardkugeln ein aufwendiges Fertigungsverfahren angewandt, bei dem überwiegend Spezialkunststoffe (Phenolharz und Aramith) verarbeitet werden.
4. Die indische Ära
Unter den meisten Experten gibt es keinen Zweifel über die Geburtsstunde des Snookerspiels und darüber, wie das Regelwerk nach England gelangte.
Der britische Billardmeister John Roberts exportierte in der Mitte des letzten Jahrhunderts Billardtische an die in Indien stationierten britischen Regimenter sowie gelegentlich auch in die Paläste der Maharadschas. Der Maharadscha von Jaipur war von Roberts Spielkünsten derart angetan, dass er ihn gegen einen fürstlichen Lohn als seinen ,,Hofmeister“ anstellte. Auf einer seiner zahlreichen Reisen wurde Roberts 1885 dem Maharadscha von Cooch Behar vorgestellt, der die Regeln des Snookerspiels eigenhändig aufgeschrieben hatte und diese nun großzügig an seinen Gast weitergab. Roberts erkannte sofort den Reiz des neuen Spiels und führte es nach seiner Rückkehr aus Indien in seinem Heimatland ein.
Snooker war offenbar in einer der zahlreichen Offiziersmessen entstanden, wo sich britische Soldaten irgendwo in Indien, fernab ihrer Heimat an den dort aufgestellten Billardtischen die Langeweile vertrieben. Hier hatte man das bis dahin praktizierte ,,Black Pool“, das mit einer weißen, einer schwarzen und fünfzehn roten Kugeln gespielt wurde und als äußerst berechenbar und somit nicht sehr spannend galt, durch die Hinzufügung einer gelben, einer grünen und einer pinkfarbenen Kugel erweitert. Diese Ergänzung und die damit verbundene Regelerweiterung dienten dazu, dem Spiel einen neuen Reiz zu verleihen. Erst Jahre später kamen die braune und die blaue Kugel hinzu. Die so entstandene Billardvariante war auch der bevorzugte Zeitvertreib der Offiziere des 11. Devonshire Regiments in Jubbulpore, zu denen auch ein gewisser Neville Bowes Chamberlain gehörte, der den uns bereits bekannten Roberts seinerzeit dem Maharadschah von Cooch Behar vorgestellt hatte. Dieser Chamberlain gilt auch heute noch als eine wichtige Persönlichkeit in der Geschichte des Snookersports, da er dem Spiel seinen heute noch gebräuchlichen Namen gegeben haben soll. Das Wort ,,Snooker“ war damals ein regional begrenzt verwendeter, umgangssprachlicher Begriff für einen jungen Rekruten, der gerade seine militärische Ausbildung begonnen hatte. Das Wort besaß zudem einen negativen Beigeschmack, wenn es dazu verwendet wurde, Nichtrekruten“ als Greenhorns zu bezeichnen und auf diese Weise lächerlich zu machen. Als es einem der Offiziere während einer Partie nicht gelang, eine unmittelbar vor einer Tasche liegende und eigentlich leicht zu spielende farbige Kugel zu versenken, bezeichnete Chamberlain diesen als ,,regular snooker“, also quasi als blutigen Anfänger. Da der Begriff jedoch keinem der übrigen Anwesenden geläufig war, musste Chamberlain dessen Bedeutung erklären. Um einer möglichen Verstimmung des so Betitelten entgegenzuwirken, fügte er beschwichtigend hinzu, dass ja eigentlich alle an diesem Spiel Beteiligten regelrechte ”snookers“ seien. Sein anschließender Vorschlag, dieses bis dahin noch immer namenlose Spiel ,,Snooker“ zu nennen, fand ungeteilte Zustimmung. Chamberlain bemühte sich fortan um die Verbreitung des Spiels, wo immer ihn seine Reisen auch hinführten, und so wurde es unter dieser Bezeichnung im Laufe der Jahre weltweit bekannt.
5. Snooker im 20. Jahrhundert
Snooker fand in Großbritannien ohne Schwierigkeiten eine große Anhängerschar, und bereits 1916 wurde die erste offizielle englische Meisterschaft für Amateure ausgetragen. Die zwanziger Jahre erwiesen sich auch für Snooker als ein goldenes Zeitalter, denn sie brachten mit Joe Davis den ersten wirklich großen Star hervor. Davis beherrschte sein Metier wie kein anderer und blieb bis 1946 die unangefochtene Nr.1. Als er sich von der internationalen Bühne verabschiedete, trat sein Bruder Fred sein Erbe an und überzeugte das Publikum und seine Gegner noch etliche Jahre mit hervorragenden Leistungen.
Seit der Austragung der ersten Professional Championships of Snooker Pool am 26. November 1926 präsentierte sich die noch junge Sportart fortan auch als ,,big business“, mit dem eine Handvoll Berufsspieler sehr viel Geld verdiente.
Wie viele andere Sportarten hatte Snooker nach 1945 mit erheblichen Problemen zu kämpfen, um wieder die Popularität zu erlangen, die es vor Ausbruch des II. Weltkriegs genossen hatte. Hinzu kam, dass den Sponsoren, die für die Ausrichtung großer Turniere nun einmal unerlässlich waren, das Geld nicht mehr so locker saß wie früher. Die Folge war, dass die Austragung der Weltmeisterschaften von 1952 bis 1964 ausgesetzt wurde.
Erst mit der Einführung des Farbfernsehens in Großbritannien gelang Snooker 1969 der zweite große Durchbruch. Das Spiel wurde nun auch für die Zuschauer vor der ,,Mattscheibe“ interessant. Es erlebte schnell einen nie erwarteten Aufschwung, der dazHeute gilt die Fernsehübertragung der siebzehn Tage andauernden ,,Embassy World Professional Championships“ aus dem Crucible Theatre in Sheffield als das größte jährlich wiederkehrende, von den Medien aufbereitete Sportereignis in Großbritannien. 1989 war Snooker in Großbritannien der Sport, der im Fernsehen, noch vor den so beliebten Nationalsportarten Fußball, Rugby und Darts, anteilmäßig den ersten Platz in der Statistik der Sehbeteiligung sowie der Gesamtübertragungszeit im Rahmen aller ausgestrahlten Sportsendungen für sich verbuchen konnte.
In Deutschland und Österreich vollzieht sich derzeit ein ,,Snookerboom“, der nicht zuletzt von den immer häufigeren Fernsehübertragungen unterstützt wird. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob sich Snooker auch bei uns auf Dauer behaupten kann und zu einem Freizeitvergnügen für jeden wird, der Spaß und Gefallen an dieser fesselnden und attraktiven Billardvariante findet.
Quelle: www.snookerclub-hagen.de